Sport als Therapie – welche Angebote braucht es?
Autor:
Dr. Frans van der Kallen
Arzt für Allgemeinmedizin
Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin
Staatlich geprüfter Berg- und Schiführer, Seckau
E-Mail: frans.vdk@aon.at
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Die therapeutische Wirksamkeit von Sport bzw. Bewegung bei psychischen Erkrankungen ist mittlerweile gut belegt. Viele Psychiater:innen empfehlen regelmäßige Bewegung bereits als unterstützende gesundheitsfördernde Maßnahme. Bislang bleibt es jedoch häufig in der Verantwortung der Betroffenen selbst, nach Motivationsquellen und Möglichkeiten der Umsetzung zu suchen.
Keypoints
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Bewegung ist eine effiziente Therapie bei psychischen Krankheiten.
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Die Krankheitslast psychischer Erkrankungen resultiert zu einem erheblichen Teil aus somatischen Komorbiditäten. Bewegung ist auch in dieser Hinsicht therapeutisch effizient.
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Entsprechende Strukturen, die Betroffenen ein geeignetes und attraktives Umfeld bieten, Bewegung konsequent und langfristig durchzuführen, sollten auf- bzw. ausgebaut werden.
Die gesundheitsfördernde Wirkung von Bewegung wurde bereits in der Antike erkannt und genutzt. In der Psychiatrie hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema verhältnismäßig spät begonnen, die Lücke wurde aber in den letzten 20 Jahren weitgehend geschlossen.1
Nicht befriedigend beantwortbar hingegen ist nach wie vor die Frage, welche Art, Häufigkeit und Intensität an Bewegung für welche Patient:innengruppe vorteilhaft ist.2 Klar ist, dass ein geringes Ausmaß an Bewegung bereits deutliche Effekte im Vergleich zu keiner Bewegung zeigt. Bei bereits regelmäßig durchgeführter Bewegung wird der zusätzlich erzielbare gesundheitliche Nutzen durch eine weitere Steigerung von Bewegungsdauer und -intensität geringer. Bei ausgesprochen intensivem körperlichem Training, wie beispielsweise im Leistungs- und ambitionierten Hobbysport, kann Bewegung gegenteilige, in verschiedener Hinsicht sogar ausgeprägte psychisch pathogene Effekte aufweisen.3 Auch kann suchtartiges Sportverhalten eine Gesundheitsgefährdung darstellen.4 Bei bestimmten Patient:innengruppen sind bereits bei moderatem Bewegungsausmaßschädigende Effekte zu befürchten (z.B. bei Fatigue-Syndromen oder Essstörungen).
Allgemeine Bewegungsempfehlungen
Generell gilt regelmäßige, annähernd täglich durchgeführte Bewegung in Form von Ausdauersport in Kombination mit muskulärer Aktivierung sowie – vor allem im höheren Lebensalter – dem Training von Koordination, Gleichgewicht und Konzentration als gesundheitsfördernd. Zur allgemeinen, also nicht nur mentalen Gesundheitsförderung hat die WHO im Jahr 2020 auf Basis des wissenschaftlichen Diskurses aktualisierte Bewegungsempfehlungen publiziert.5 Verschiedene nationale Empfehlungen, in Österreich z.B. formuliert durch den FGÖ (Fonds Gesundes Österreich), decken sich in den wesentlichen Punkten.
Es wird dabei zwischen verschiedenen Zielgruppen unterschieden, wobei das vorgeschlagene Bewegungsausmaß für Kinder und ältere Personen jeweils höher angesetzt ist als für Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren. Bei Vorliegen chronischer Krankheiten oder Behinderung sowie für schwangere und postpartale Frauen gelten modifizierte Empfehlungen.
Die Basisempfehlung umfasst aerobe Aktivität in moderater oder höherer Intensität, wobei die Bewegungsdauer wöchentlich mindestens 150 bei moderater bzw. 75 Minuten bei höherer Intensität betragen sollte. In Kombination werden muskelkräftigende Übungen mindestens zweimal pro Woche empfohlen. Gerne übersehen wird der wichtige Punkt, dass sitzende Tätigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden bzw. so oft wie möglich durch körperliche Aktivität zu unterbrechen sind. Hingewiesen wird darauf, dass ein über dieses Mindestausmaß hinausgehendes Bewegungsverhalten einen zusätzlichen Benefit erwarten lässt. Eine eindeutige Obergrenze wird in dieser Empfehlung formuliert.
Wie viel Bewegung tatsächlich gemacht wird
Gesundheitsbefragungen, welche die Bewegungsgewohnheiten von Bevölkerungsgruppen charakterisieren, orientieren sich meist an den skizzierten Bewegungsempfehlungen der WHO. In der österreichischen Gesundheitsbefragung 2019 gaben insgesamt 23,6% der Bevölkerung an, beide Kriterien (für Ausdauersport und muskelkräftigende Übungen) zu erfüllen. Bei jüngeren Erwachsenen waren es noch über 30%, bei den älteren lediglich rund 20%.6 Die durch mangelhaftes Bewegungsverhalten entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten werden für Österreich je nach Berechnungsmethode auf mehrere hundert Millionen bis weit über eine Milliarde Euro jährlich geschätzt.7,8
In Bezug auf die Bewegungsgewohnheiten psychisch kranker Personen gibt es hingegen nur wenige Daten. Aus einer aktuellen, derzeit noch unveröffentlichten Befragung österreichischer Pychiater:innen geht hervor, dass diese zwar den meisten ihrer Patient:innen regelmäßige Bewegung empfehlen, jedoch gleichzeitig annehmen, dass 90% der Betroffenen die allgemeinen Bewegungsempfehlungen der WHO nicht erfüllen. Die weitaus überwiegende Annahme für die Begründung dieses Bewegungsmangels ist fehlende Motivation. Bemerkenswert ist unter anderem, dass die Psychiater:innen selbst in Bezug auf ihre Bewegungsgewohnheiten unter dem Ausmaß der österreichischen Durchschnittsbevölkerung liegen (Hüfner & Spick: unveröffentlichte Daten).
Bewegung deckt ein breites Wirkspektrum ab
Warum Bewegung gerade bei psychischen Erkrankungen als sinnvolle Intervention gelten muss, veranschaulicht folgende Überlegung: Generell verursachen psychische Krankheiten einen hohen Verlust an Lebensjahren durch schwere Beeinträchtigung und vorzeitigen Tod.9 Allein die Lebenserwartung bei psychischen Erkrankungen sinkt um 5–17 Jahre im Vergleich mit Menschen ohne psychiatrische Diagnose.10 Diese erhebliche Krankheitslast ist jedoch weniger auf die psychiatrische Symptomatik selbst als auf zahlreiche Begleiterkrankungen zurückzuführen. So wurden in einer großen australischen Studie mit Daten von fast 300000 psychiatrischen Patient:innen 77,7% der Todesursachen auf körperliche Faktoren zurückgeführt, insbesondere kardiovaskuläre Endpunkte mit 39,9% und Krebserkrankungen mit 13,5%. Suizide als schwerwiegendste psychiatrische Komplikation waren in 13,9% der Fälle für den vorzeitigen Tod verantwortlich.11
Da konsequente Bewegung bei allen genannten Gesundheitsstörungen erwiesenermaßen gute präventive und therapeutische Wirkungen zeigt, kann sie als universellste Intervention angesehen werden. Zudem ist Bewegung gut mit psychotherapeutischen sowie medikamentösen Maßnahmen kombinierbar, zeigt niedrige Nebenwirkungsraten, eignet sich für (fast) alle Menschen und wird generell sozial positiv bewertet, was außerdem zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen beiträgt.12
Durchführung von Bewegung im ambulanten Setting
Bewegungsberatung, insbesondere in ärztlichen Praxen und wiederholt durchgeführt, führt nach aktuellem Wissensstand bei etwa der Hälfte der Fälle zu einer Verhaltensänderung.13 Die wissenschaftliche Evidenz zu dieser Frage ist allerdings mangelhaft, vor allem langfristige Effekte betreffend.14
In Deutschland wurde die Initiative „Bewegung auf Rezept“ von vielen Patient:innen positiv bewertet. Fast die Hälfte der Befragten wünschten sich allerdings in Bezug auf die Umsetzung mehr Unterstützung von ihrer Krankenkasse.15
Allgemein bestehen in Österreich zur gesundheitsorientierten Förderung von Bewegung zahlreiche Angebote seitens der Sozialversicherungsträger, Länder, Gemeinden und Sportverbände. Allein die Fit Sport Austria GmbH, die Plattform für gesundheitsorientierten Sport in Österreich mit den Vereinen ASKÖ, ASVÖ und SPORTUNION, listet österreichweit aktuell 7288 Bewegungsangebote (Stand: 23.7.24).
Gerade für psychisch Kranke sind jedoch besondere Rahmenbedingungen zu fordern. Einerseits, weil aufgrund der Symptomatik die Schwelle für die Teilnahme an allgemeinen Bewegungsangeboten oder der Beitritt zu Sportvereinen oftmals eine unüberwindbare Hürde darstellt. Andererseits, weil langfristige Therapieadhärenz nur in einer entsprechenden Struktur, in der Betroffene in unterschiedlichen Lebensbereichen gut aufgehoben sind, erwartbar ist. Unter diesem Blickwinkel bestehen in Österreich neben kleineren Initiativen von psychosozialen Dienstleistern insbesondere folgende zwei Angebote, die beispielhaft vorgestellt werden sollen.
LOGINsLeben (Wien)
Der im Jahr 2002 gegründete gemeinnützige Verein zur Förderung von Inklusion und Partizipation durch Sport für Menschen mit psychischen Erkrankungen bietet ca. 20 verschiedene sportliche Aktivitäten an. Die sportlichen Zielsetzungen orientieren sich an der persönlichen Leistungsmarke und Befindlichkeit der Teilnehmenden. Sport und Bewegung dienen auch sozialen Zwecken und der Verbesserung von Gesundheitskompetenz.
Der Verein verfügt außerdem über psychologische, psychotherapeutische und achtsamkeitsbasierte Angebote, Ernährungsworkshops, Kommunikationstrainings und konkrete soziale Unterstützung in unterschiedlichen Lebensbereichen. Es bestehen Kooperationen mit verschiedenen Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich.
Pro move (Graz)
Die von der pro mente Steiermark geführte Initiative wendet sich ebenfalls exklusiv an Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Das Angebot zielt auf die Verbesserung des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens ab. Die unterschiedlichen Bewegungsangebote umfassen ca. 15 verschiedene Sportarten (z.B. Kraftsport, Bogenschießen, Bouldern/Klettern, Fußball, Nordic Walking, Schwimmen, Wandern) und werden von Trainer:innen mit psychosozialer Qualifikation geleitet. Die Teilnahme ist nach Anmeldung und einem Erstgespräch möglich. Benutzungsgebühren von Sportanlagen, wie Schwimmbädern oder Kletterhallen, sind in reduziertem Ausmaß von den Teilnehmenden mitzutragen, ansonsten ist die Nutzung der Angebote kostenfrei. Neben der psychischen Gesundheitsförderung sind Freizeitgestaltung und das Knüpfen bzw. Pflegen sozialer Kontakte wesentliche Anliegen. Pro move ist Teil des umfassenden psychosozialen Angebots der pro mente Steiermark. Die Zuweisung erfolgt in Kooperation mit stationären Einrichtungen. Derzeit ist die Nutzung Patient:innen mit Wohnsitz in Graz vorbehalten.
Fazit
Bewegungs- und sporttherapeutische Angebote stellen eine effiziente Behandlungsoption bei psychischen Erkrankungen dar, die in der Regel in Kombination mit psychotherapeutischen und pharmakologischen Therapien genutzt werden sollte. Insbesondere im Hinblick auf somatische, aber auch soziale Problemstellungen kann dadurch Gesundheit generiert und langfristig erhalten werden. Bewegung konsequent und dauerhaft umzusetzen, erfordert jedoch entsprechende Hilfestellungen, die in speziellen Einrichtungen angeboten werden können. Selbst bei moderater Krankheitsausprägung scheint es nicht zielführend zu sein, die Verantwortung für die Suche nach passenden Bewegungsangeboten und die Aufrechterhaltung der Motivation zur lebenslangen Teilnahme ausschließlich an die Betroffenen selbst zu delegieren. Die Bereitstellung entsprechender Strukturen mit Einbindung in das medizinische System und (Teil-)Finanzierungsmodellen durch die Krankenkassen ist wünschenswert und auch gesundheitsökonomisch sinnvoll. Letztlich wäre allgemein ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel im Verständnis von Sport und Bewegung anzustreben, welcher den Wettkampf- bzw. Leistungscharakter kritisch hinterfragt und die Förderung von Gesundheit sowie Lebensqualität durch Bewegung in den Fokus rückt.
Quelle:
Dieser Bericht basiert auf einem Vortrag des Autors bei der ÖGPP-Jahrestagung 2024 in Wien
Literatur:
1 Ströhle A: Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2019; 269(5): 485-98 2 Smith PJ, Rhonda MM: Annu Rev Med 2021; 72: 45-62 3 Claussen MC, Seifritz E (Hrsg): Lehrbuch der Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Hogrefe, 2022 4 Habelt L et al.: Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2023; 273(3): 639-647 5 WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour 2020. Online unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK566045 . Zuletzt abgerufen am 24.Juli 2024 6 Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Österreichische Gesundheitsbefragung 2019. Online unter: https://www.statistik.at/services/tools/services/publikationen/detail/848 . Zuletzt abgerufen am 24. Juli 2024 7 SportsEconAustria: der volkswirtschaftliche Nutzen von Bewegung 2015. Online unter: https://www.spea.at/wp-content/uploads/2018/12/1512_SpEA_Nutzen_Bewegung_Endbericht-2.pdf . Zuletzt abgerufen am 24. Juli 2024 8 Mayer S et al.: Gesundheitswesen 2020; 82(3): 196-206 9 Murray C et al.: Lancet 2012; 380(9859): 2197-223 10 Plana-Ripoll O et al.: World Psychiatry 2020; 19(3): 339-349 11 Lawrence D et al.: BMJ 2013; 346: f2539 12 Imboden C et al.: Praxis 2022; 111(4): 186-91 13 Jordan S, Starker A: J Health Monit 2021; 6(2): 74-80 14 Rütten A, Pfeifer K (Hrsg.): Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung. Sonderheft 03. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2017 15 Vogt L et al.: Dtsch Med Wochenschr 2019; 144(10): e64-9
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